ErbRache by Thomas Herzberg

ErbRache by Thomas Herzberg

Autor:Thomas Herzberg [Herzberg, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-04-10T22:00:00+00:00


***

An diesem Montagabend wirkte der ganze Kiez fast wie ausgestorben. Nur ein paar vereinzelte hoffnungslose Fälle hatten sich hier und dort vor einen Tresen geklemmt, um den Wirt mit ihren Lebensgeschichten zu langweilen.

Detlef Busch hatte sich am Eingang seiner neuen Stammkneipe eine Zeitung gekrallt und sich damit sofort in die hinterste Ecke verzogen. Es war schon nach elf, als gleich eine ganze Gruppe kahlrasierter Kleiderschränke eintrat, die offensichtlich bereits irgendwo vorgeglüht hatten. Augenblicklich schwoll der Lärm auf einen Pegel an, dass Busch sich am liebsten Ohrenschützer aufgesetzt hätte. Die Kerle grölten Lebensweisheiten, die niemand brauchte. Rissen uralte Witze, über die nicht einmal mehr ein Schulkind lachen konnte oder gaben sonstigen Schwachsinn von sich, den es nicht einmal zu kategorisieren lohnte.

»Hunderttausend Volt in den Armen – aber oben brennt keine Lampe«, dachte Busch und grinste in sich hinein. Als jetzt noch ein weiterer Schwall von Glatzen eintrat, kippte die Stimmung erstaunlicherweise ins Positive. Einer der Hinzugekommenen warf zwei Hunderter auf den Tresen und orderte eine Lokalrunde, was den Rest der Meute regelrecht aufheulen ließ.

»Mirko schmeißt ’ne Runde«, grölte einer der Kerle. »He, du, was trinkst du?«

Busch brauchte ein paar Momente um zu begreifen, dass diese Frage offensichtlich ihm galt. Er schüttelte langsam den Kopf und bemühte sich, dazu freundlich zu lächeln. Diese Offerte schloss vermutlich weder Wasser noch Cola ein.

»Was ist?«, brüllte jetzt ein anderer. »Sind wir dir nicht gut genug, um mit uns einen zu trinken.«

Schnell erkannte Busch, dass es besser wäre, dieser Aufforderung so eilig wie möglich nachzukommen, ansonsten drohte Ungemach. Als er wenig später am Tresen stand, musste er gleich eine ganze Reihe von angedeuteten Kinnhaken, Kopfnüssen und weiteren zweifelhaften Liebkosungen über sich ergehen lassen. Als aber sein Bier kam, schien die Meute bereit zu sein, von ihm abzulassen. Er hatte sein Glas kaum halbleer, als der Wirt ihm mit einem schmierigen Grinsen noch ein zweites reichte. »Du solltest besser trinken. Die Kerle mögen es nicht, wenn man gegen den Strom schwimmt.«

Detlef Busch stürzte den Rest seines ersten Glases auf ex hinunter und nippte nun bereits am nächsten. Direkt vor ihm hatte sich ein wahrer Riese platziert, der so wild über ihn hinweg gestikulierte, dass es ihn, als amtlich anerkannten Zwerg, immer wieder gründlich durchschüttelte. Plötzlich schrie ein anderer etwas von der Tür her, sodass sich der Riese jetzt notgedrungen zu dem anderen Kerl umdrehen musste.

Busch hatte zwar langsam Erfahrung mit solchen Momenten. Als er aber den Stacheldraht, auf dem ein Adler mit weit gespreizten Flügeln saß, direkt vor sich sah, durchfuhr es ihn mit einer solchen Gewalt, dass ihm fast schwarz vor Augen wurde.

»Mirko, du altes Schlachtross«, brüllte einer der Kerle und packte den Riesen im Nacken. Durch die fleischigen Finger hindurch konnte Busch noch immer Teile der Tätowierung erkennen, deren Motiv sich regelrecht in seine Netzhaut brannte. Die Geräuschkulisse nahm er nur noch wie durch einen Nebel wahr. Alles schien an Bedeutung verloren zu haben. Direkt vor ihm, keinen halben Meter entfernt, stand einer der Männer, die das Leben eines jungen Afrikaners für immer ausgelöscht hatten.



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